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Das Lernen lernen, Teil 10
Grenzen-Bereiche
In diesem 10. Teil versuche ich, dich mit einigen Fragen am Rande des Themas Lernen zum Nachdenken anzuregen. (Diesen Teil zu lesen, magst du auf eine spätere Zeit verschieben, soweit dich die beschriebenen Aspekte jetzt nicht betreffen oder noch nicht interessieren.)
1 Was heißt für dich 'lernen'?
Worum geht es dir, wenn du dich mit dem 'lernen-Lernen' befaßt?
Was ist dein Anliegen? Was interessiert dich?
Daß du über solche Fragen nachdenken, und zu persönlichen Antworten finden mögest, ist Anliegen des Verfassers.
Ich versuche dir verstehbar zu machen, wie groß das Feld 'Lernen' wirklich ist. Es ist schier Grenzen-los. Verstehe unter 'Lernen' künftig, dein Feld der eigen erworbenen Kompetenzen immer weiter auszudehnen.
* 'Ich sammle Erfahrungen' ist gleich bedeutend mit 'ich lerne'.
Der Prozeß 'Erfahrungen machen und wieder-verwertbar speichern' umfaßt etwa diese Stufen-Folge ::
a) Ich löse 'gedanklich' ein Problem, ich strukturiere meine Aufgabe,
b) ich setze den gedachten Prozeß (a) in Gang, ich arbeite ihn ab,
c) ich mache dabei (b) weitere neue Erfahrungen,
d) ich speichere die gemachten (neuen) Erfahrungen (c) zum Zwecke späteren Abrufens (also des weiteren Nutzens),
e) ... und habe mir über mein Tun etwas Neues erarbeitet, habe hinzu-gelernt.
* Weshalb lernen wir?
> Weil Lernen ein Grund-Bestand von Leben ist. Jeder Mensch lernt, willentlich oder unbewußt, Ziele-gerichtet oder per Zufall, mit 'Lust oder Frust',
> aber es besteht ein Erfordernis: Jeder junge Mensch, der erwachsen werden will, muß sich (ab seiner frühen Kindheit) ein effizientes lernen-Können aneignen und es einüben.
Im Kern zielt die Botschaft (dieser Texte) auf die Persönlichkeit des Lerners.
Über Lernens-Strategien Bescheid wissen, also davon gehört zu haben, ist das Eine.
Effizientes Lernen selbst anzuwenden, es zu tun, das ist das Andere. An diesem Anderen scheitern manche Lerner.
2 Schulisches Lernen
(+) erweitern um ... / (-) abgrenzen gegenüber ...
Allem dem, was wir tun, sollten wir auch mit einer Portion Skepsis begegnen. Es mag bisher der Eindruck beim Leser entstanden sein :: Schulisches Lernen ist prima / Lernen ist immer positiv zu bewerten. Vor solch einer Einschätzung warne ich. Deshalb hier noch ein paar (erweiternde) Anmerkungen.
* Manches Lernen fehlt bei schulischem Lernen. Ich vermisse es leider zu oft.
Was fehlt häufig?
+ Kreatives Denken erlernen und einüben, um schöpferisches Tun zu entfalten.
Mehr oder minder gesichertes Wissen im Gehirn anzuhäufen
(was beim schulischen Lernen geschieht) ist die Regel. Das Denken zum innovativen Finden und Erfinden anzuregen, kommt nach meiner Ansicht zu kurz. Eine Kultur ist dann eine vitale, wenn viele Menschen befähigt und bereit sind, die bestehende Kultur kreativ fortzuschreiben.
+ Forschendes Lernen.
Lernen und Forschen gehören (im weitesten Sinne) zusammen. Denn Forschen ist eine besondere Art des Lernens. Forscher (Forschende) versuchen, (bisher) Unbekanntes zu ergründen. Forschen ist die höchste Form von gezieltem Lernen.
Außerdem steckt im Lernen auch die Möglichkeit, das eigene Denken zu hinterfragen, es zu erforschen. Damit meine ich, das eigene Denken durchforsten und junge Denkens-Triebe wachsen lassen.
+ Tabus überwindendes Lernen.
Denkens-Verbote behindern das Lernen, weil sie schädliche Barrieren errichten. Denkens-Manipulationen verbiegen den jungen Verstand, weil sie unehrlich sind und Falsches (zumindest Ungesichertes) verbreiten wollen. Daran sollte im Unterricht über Religion(en), Ethik, Geschichte, politische Geografie, Gesellschaft-Kunde etc. gedacht werden.
+ Lernen mit den Händen, mit den Sinnen.
Jede Entwicklung einer Kultur hat Aspekte hervorgebracht, welche der Kultur zur Ehre gereichten und weiterhin gereichen. Die abendländische Kulturen-Entwicklung (vor allem vom antiken Griechenland ausgehend) hat die Stärkung des Geistes, des Verstandes, der Logik vorrangig befördert.
Die Produktion von Gütern (im weiten Sinne jede Art Hand-Arbeit) war (in der Antike) wenig geachtet; sie war Sklaven-Arbeit; technologische Produkte waren das Hand-Werk von Sklaven.
> Ein wenig von dieser Art (nicht-)Wertschätzung der Hand ist im Denken von manchen Bildung-Entscheidern offenbar immer noch präsent. Unsere Schulen strapazieren überwiegend Kopf und Gesäß der Lerner. Die Hände, der Körper insgesamt spielen eine eher untergeordnete Bedeutung.
Solch eine Bildung-Kultur ist einseitig orientiert. Sie mißachtet zentrale Potenzen des (jungen) Menschen. Neuere Forschung-Ansätze gehen davon aus, daß die Entwicklung des Gehirns beim Homo sapiens in Wechsel-seitiger Abhängigkeit von der Entwicklung der menschlichen Hand erfolgt sein dürfte.
> Hand-Entwicklung und die Entwicklung der Sinne, Gehirns-Entwicklung und Sprache-Entwicklung waren (nach diesen Forschung-Befunden) weitgehend synchron verlaufen. Diese Hypothese gemahnt uns, die Rolle der Hände beim Lernen (an Schulen, mit erweiterter Ziele-Setzung) neu zu bedenken.
> Wir wissen, daß eine starke Handwerke-Tradition (seit dem späten Mittelalter) bis heute (in Europa) wirkt. Im deutschen Ausbildung-System (mit der dualen Ausbildung sowohl am Arbeit-Platz wie in den Berufe-Schulen) werden große Erfolge erzielt. Hand und Verstand werden dort gemeinsam gefördert. Das Produkt (das Werk) wird geschätzt. Der Fach-Arbeiter ist eine anerkannte Person.
* Welches Lernen sollten wir aus den Schulen fernhalten?
- Was hat Werbung mit 'Lernen' gemeinsam?
Es gibt Lernens-Anreize, die nicht unbedingt positiv sind. Gedacht ist dabei an viele Formen der Waren-Werbung. Hierbei handelt es sich um (oft recht attraktiv präsentierte) Verführung zum Kaufen (zum haben-Wollen) verbunden mit einem diffusen Glücks-Versprechen.
- Ein Lehren, das nach der Masche von Konsumenten-Werbung gestrickt ist, verfehlt den emanzipatorischen Effekt guten Lernens. Lehrende sollten nicht der irrigen Meinung aufsitzen, sie erleichterten den Lernern das Lernen dann, wenn sie manipulatorische Mechanismen anwenden. Die Frage gibt es ein Nutzen-loses Lernen? wäre dann zu bejahen, sobald versucht würde, bei Lernens-Akten die nötigen kritischen prüf-Instanzen der Lerner auszuschalten.
3 Von Vorbildern lernen
Wir haben alle schon erfahren, daß andere Menschen eine starke Wirkung auf unser Bewußtsein haben können, daß wir darum, weil sie uns attraktiv erscheinen, so sein wollen wie sie. Sie können dann als Vorbilder in unser Leben hineinwirken.
> Ein auffallendes Persönlichkeit-Merkmal der anderen Person für sich adaptieren wollen, eine bemerkenswerte Eigenheit kopieren, Verhalten nachahmen, auch dies sind Aspekte von lernen im Sinne von nachahmen.
In der Konsumenten-Werbung z.B. werden oft 'Vorbilder aufgebaut und angeboten'. Solche 'Vorbilder' sollen unser Kauf-Verhalten beeinflussen. Etwas das offenbar allgemein vorhanden ist, eine Sache die benutzt und gebraucht wird, etwas von vielen als 'Leben-erleichternd' Geschätztes, möchtest du doch auch besitzen, so lautet eine insgeheime Botschaft. Eine attraktive Schauspielerin erscheint dir dann plötzlich als Vorbild, weil sie sympathisch erscheint und weil sie das Beworbene bereits besitzt.
> Sich jemanden zum Vorbild nehmen, sei er gleich-altrig oder älter, ist für junge Menschen ein Teil der Ich-Findung. Sie sind in diesem Alter auf der Suche; ihre Persönlichkeit ist dabei sich zu formen. Einen imaginären Vorbilder-Katalog präsentiert das virtuelle Bild. Dann erscheint ein Idol aus Medien, Musik, Sport, TV, Kino, Video, Spielen, Internet als ultimativer Anreiz.
Vorzuziehen wären aber allemal Vorbilder, denen du wirklich begegnest, mit denen du in der 'realen' Welt kommunizierst, Menschen, deren Handeln du beobachten kannst.
> Auch für das Leben-begleitende Lernen brauchst du Vertrauen-würdige Vorbilder. Bisweilen wirst du so jemandem ohne aktives Suchen begegnen. Du erkennst ihn, und willst von ihm lernen.
4 Was haben Wissenschaften bisher erkannt?
Das Konzept Lernen spielt in einer Reihe von Wissenschaft-Disziplinen eine gewichtige Rolle. Obgleich diverse wissenschaftliche Erklärung-Muster vorliegen, wissen wir (definitiv, also auf der Basis stabiler Theorie) nur relativ Ungenaues darüber, wie menschliches Lernen verbessert (optimiert) werden kann. Unterschiedlich sind die Aussagen der befaßten Disziplinen. Bisweilen legen Fachleute sich widersprechende Theorien vor. Theorien sind gestützt auf Hypothesen. Hypothesen gelten so lange, bis sie in der Wissenschaftler-Sozietät durch neuere Hypothesen ersetzt werden.
* Viele Fragen sind offen (denn sie werden nach verschiedenen Forschung-Ansätzen derzeit noch unterschiedlich beantwortet), z.B. ::
> Wie 'das Lernen' im Gehirn von statten geht.
> Wie einzelne Lernens-Prozesse im Körper des Lerners ablaufen. Auf welche physischen Ressourcen sie dort zugreifen.
> Welche Ziele verfolgen unterschiedliche Lerner?
> Wie lassen sich Lerner-Persönlichkeiten (-Charaktere) präzise unterscheiden?
> Welche mentalen Veränderung erfährt der Lerner beim Lernen?
> Von welchen Faktoren (Bedingungen beim Lerner, Bedingungen beim Umfeld, Bedingungen beim Lernens-Sachverhalt, Bedingungen beim Lernens-Anlaß) ist erfolgreiches Lernen (in welchem Umfang) abhängig?
> Wie kann ein Lerner durch Veränderungen persönlicher Faktoren sein Lernen nachhaltig verbessern?
> Welche Lernens-Resultate erbringen verschiedene Lernens-Methoden?
* Beteiligt an der Lernens-Forschung sind mehrere Wissenschaft-Disziplinen. So
> die Anthropologie
> die Verhaltensforschung
> die Neurowissenschaften, Neurobiologie und Hirnforschung
> die Didaktik
> die Kognitionswissenschaft
> die Entwicklungspsychologie
> die Pädagogische Psychologie
> die Lernpsychologie und andere.
* Moderne Theorien zum Lernen gibt es manche. Aber praktisch gelernt wird seit den frühesten vor-Vorläufern des Menschen (ich denke, wohl seit über einer Milliarde Jahren). Schulen sind junge Erfindungen menschlicher Lernens-Kulturen; sie haben (seit 10000 / 5000 Jahren) unterschiedliche Lernens-Traditionen hervorgebracht.
Alle Menschen müssen bis heute immer wieder neu versuchen, mit dem beschränkten Wissen (über das Lernen) zurecht zu kommen. Und das gelingt auch ständig den allermeisten. Du als Lerner stehst in einer langen Reihe von jungen Menschen, die nicht nur Erfolge-reich zu lernen gelernt haben, sondern (ein jeder für sich) wichtige Erfahrungen über das Lernen gemacht, gesammelt und diese auch wieder weiter gegeben haben.
* Entscheidend ist, daß du begriffen hast, dein Lernen ist zunächst mal gänzlich deine eigene Leistung. Du bist der Manager deines Lernens. Du bist letztlich für das Gelingen zuständig. Du kannst dir deine Lernens-Erfolge als deine persönlichen Siege über das zu Lernende (in hohem Maße selbst) zuschreiben.
> Unbestritten ist aber auch, daß du in einer Lernens-Kultur aufwächst (und darin lernen kannst), welche dir einen reichen Schatz an praktischen Methoden und Hilfsmitteln zur Verfügung stellt. Diese erleichtern das Lernen bisweilen erheblich.
> Und dann steht dir ein gut ausgebildetes Fach-Personal zur Seite, die Lehrenden und Unterweisenden, die Lernen-Paten und Lernen-Helfer, welche dein Lernen anleiten, überwachen, betreuen, unterstützen.
Ich fasse zusammen ...
Die befaßten Wissenschaften können bislang nicht sagen, welche neuro-physiologischen Zusammenhänge Erfolge-reiches Lernen tatsächlich bewirken und sichern; sie können nicht sagen, wie der einzelne einen gezielten Lernens-Erfolg sicher erreichen kann. Auch nicht, wie der Lerner sich steuern muß, damit sein Gelerntes nachhaltig verfügbar bleibt.
> Es gibt viele empirische Untersuchungen über Lernens-Bedingungen, Lernens-Verläufe, Lernens-Resultate. Sie sind generell (Erkenntnis-theoretisch) wichtig, aber sie geben dem einzelnen Lerner kaum genügende Handlung-Anweisungen, um daraus sicher zutreffende Lernens-Regeln für sich ableiten zu können.
> Lernen, eine der ältesten Kompetenzen des Lebens, bleibt bis heute (bezüglich der Alltag-praktischen Optimierung) in hohem Maße wissenschaftlich ungesichert. Theorien gibt es einige. Dennoch wird ein jeder Lerner seine Lernens-Konzepte immer noch (selbst verantwortet) selber finden, erproben und anwenden.
Diese Texte stützen sich nicht auf eine der gängigen Lernens-Theorien. Meine in diesem Ratgeber Lernen dargelegten Empfehlungen und Warnungen stützen sich auf persönliche Erfahrung, auf Beobachtungen an anderen Menschen, zudem auf eigene Lernens-Erkenntnisse. Sie sind gegründet auf langem Wirken als Lehrer und auf Experimenten mit Lernern unterschiedlicher Alter.
Das Thema 'Lernen lernen' ist seit drei Jahrzehnten ein zentraler Bezugs-Punkt meiner Didaktik. Die erstmalige Zusammenstellung einiger Gedanken dazu hatte ich (2005) Diana und Maximilian, Matthias und Anna gewidmet.
Du wirst dich fragen ...
warum ich manches auf diesen Seiten dargestellt habe, was eigentlich den Schul-Minister (deines Bundes-Landes) beträfe und sein Ministerium?
Manches habe ich in diesem Ratgeber angesprochen, was zur professionellen Ausstattung eines jeden Lehrenden gehört.
Warum steht das hier zu lesen?
Weil mir wichtig erscheint, daß auch du als Lerner darüber nachdenkst und gelegentlich die Lehrenden daran erinnerst. Vergesse auch nicht Politiker zu ermahnen, daß sie Voraussetzungen für gutes Lernen zu verbessern haben.
© Helmut M. Selzer (2006-10), 2016, 2017
Ende von Teil 10
Mehrfache Wiederholungen in den elf Teilen sind beabsichtigt.
Redundanz kann die Verstehbarkeit erleichtern, und sie kann das Verstehen (wie auch das Merken) unterstützen.
In mehreren Teilen dieser Kolumne hat sich die maskuline Schreibweise wieder durchgesetzt.
Sorry, liebe Leserin! Klar daß ich Sie damit angesprochen haben will. (Noch bin ich weit entfernt von einer durchgehend nicht-selektiven Sprache.)
Lernen lernen hat viele Seiten, die zu beachten sind ::
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/ Lernen lernen, Teil 1. Begreifen, was Lernen bedeutet.
/ Lernen lernen, Teil 2. Mich selbst steuern.
/ Lernen lernen, Teil 3. Mein Lern-Umfeld.
/ Lernen lernen, Teil 4.1 Mein Lernen organisieren.
/ Lernen lernen, Teil 4.2 Meine Einstellung zum Lernen.
/ Lernen lernen, Teil 6. Mein Lern-Werkzeug.
/ Lernen lernen, Teil 7. Lernen auf Befehl.
/ Lernen lernen, Teil 8. Lern-Aufgaben.
/ Lernen lernen, Teil 9. Literatur-Hinweise.
/ Lernen lernen, Teil 10. Grenz-Bereiche.
/ Lernen lernen, Teil 11. Resümee, Lern-Management.
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