Helmut M. Selzer
 
 
 

Liebe Mitbürger/innen in einer Zeit der Neuorientierung,

oft höre ich jetzt die Frage, was sollen, was können wir tun?
Ich meine, jeder soll das tun, wozu er die Fähigkeiten hat, aber wir alle können sicher mehr tun, als wir gegenwärtig gegen die USA-Imperialpolitik unternehmen.

Hier ein kleiner Stimmungsbericht vom 8. Februar und einige Gedanken dazu.


Demos in München


Mein Bild vom 8.2.03 in München

Die große Demonstration (ab 12 Uhr) am Marienplatz in München und der anschließende Demonstrationszug um die Innenstadt herum haben mich wieder in eine hoffnungsfrohere Stimmung versetzt. Ich ging relativ erwartungslos hin, doch bekam ich im Verlauf der fünf Stunden trotz Regen und Schnee von oben und riesigen Matsch-Pfützen auf den Straßen ein wohliges Empfinden:
Da waren die Samba- und Rhythmus-Gruppen, welche viele Muskeln in meinem Körper zum Tanzen brachten, da die Skandierer, die den stillen Demonstranten Stimme gaben, da war das Flattern der - zumeist orangen und roten - Wimpel und Fahnen, da waren die vielen großen und kleinen Spruchbänder, da waren die Menschen mit Text-Botschaften auf ihren Rücken oder auf kleinen Tafeln, der Grüne Wurm aus IN, Leute mit Megaphonen und die Flugblattverteiler - und vor allem die vielen Tausend entspannt ihre Botschaft durch München tragenden Frauen und Männer jeden Alters.
Auf der Gegenseite standen - weiträumig die Straßen rund um die Militärtagung absperrend - Tausende Polizisten, teilweise Schulter an Schulter, und Hunderte mit den Insignien der Gewaltausübung dekoriert, die gegen Ende der Demonstration besonders provokant postiert waren.
Aber die Organisatoren und die Demonstranten ließen die Beckstein'sche Hochrüstung ins Leere laufen.


Zur Beteiligung

Wenn man bedenkt, daß sehr viele Teilnehmer zu den beiden Protestveranstaltungen von auswärts angereist waren, müssen wir ein Einzugsgebiet von mehreren Millionen Menschen annehmen. Insgesamt kamen etwa 10.000 und 15.000 = 25.000 Menschen zu den beiden Kundgebungen in der Münchener Innenstadt zusammen (taz vom 10.2.03; die SZ berichtet von 20.000 während des anschließenden Demonstrationszuges). Immerhin, nach Köln (14.9.2002) war das bisher wohl die zweit größte Demo in Deutschland in Sachen IRAK-Krieg.

Noch andere mir bekannt gewordene Zahlen von diesem Wochenende: Chemnitz 5.000, Freiburg 1.500 Protestierer, und rechnen wir die vielen nur regional beachteten Klein- und Kleinstdemos in ganz Deutschland hinzu, kommen wir bei großzügiger Schätzung für dieses Wochenende auf vielleicht 50.000 Menschen, denen es wert war, sich öffentlich zu machen gegen den Irak-Krieg der USA.

Am 15.2.03 in Berlin werden es bestimmt mehr Menschen werden, aber von einer Millionenschar, die im Laufe des Februar 2003 in Deutschland den Kriegsgegnern in den USA ihre Solidarität zeigen könnte, sind wir noch weit entfernt. Die Demonstration in Berlin steht im Rahmen eines vom Europäischen Sozialforum in Florenz beschlossenen europaweiten Aktionstages gegen den Krieg.

Auch in Rom, London, Paris, Brüssel, Amsterdam, Wien, Bern und anderen Hauptstädten werden am 15. Februar - hoffentlich - Millionen Menschen auf die Straße gehen.


Eine Botschaft

Laut Spiegel vom 3.2.03 sind in Deutschland 87% der Bevölkerung gegen eine US-Intervention im Irak ohne UNO-Mandat und 52% sind dagegen auch mit UNO-Mandat (Quelle: EOS Gallup Europe). Das UNO-Mandat für oder gegen den Krieg haben wir Bürger in Deutschland zu einem kleinen Teil mit in der Hand: Wenn wir Herrn Schröder und Herrn Fischer unmißverständlich klar machen, und zwar durch unsere Aktionen, daß wir weder ein UNO-Mandat noch einen Krieg wollen, dann müssen sie handeln - zumindest hat laut Presse J. Fischer bei der 'Münchner Sicherheitskonferenz' klare Worte gegen die USA-Kriegs- und Imperialpolitik ausgesprochen.

Eine französisch-deutsch-belgische Allianz gegen den IRAK-Krieg scheint Festigkeit zu bekommen. Wir werden sehen, wie sich der französische Präsident und der deutsche Kanzler letztendlich verhalten werden: Es kann großes Lob auf sie zukommen, aber auch tiefe Verachtung durch das Volk, sollten sie kompromißlerisch einknicken. Lob dürfte wohl auch die belgische Regierung für ihr NATO-Veto bekommen.
Über die deutsch-französische Blauhelm-Initiative ist es heute noch zu früh Spekulationen anzustellen.

Bilanz: Ein Drittel Februar ist vorbei, erste mittelgroße Demos in Deutschland markieren einen neuen Auftakt des öffentlichen Protestes, intelligente Bewegung und deeskalierende Ideen in der deutschen Außenpolitik sind erkennbar: Jetzt sind wir Bürger am Zug.

Gute Grüße
Helmut M. Selzer
10.02.2003



Was im Text nicht steht als Link:

1. Die Rede von Tobias Pflüger im Wortlaut.

2. Die Presseerklärung zur Festnahme von Tobias Pflüger in München.

3. Presseberichte zum Desertionsaufruf von Tobias Pflüger in München und zur Solidaritätsaktion von Konstantin Wecker.